Über das Leben auf dem Uplewarder Grashaus (1868-1886)

Im Nachlaß meiner Mutter Sonka-Eva Meyer, geb. Herlyn fand ich (Eugen Ludwig Herlyn Meyer) eine kleine Erzählung, die sie vermutlich auf Grund mündlicher Überlieferung ausschmückte und niederschrieb.

1868 

Man schreibt das Jahr 1868. Es ist März, ein schöner Vorfrühlingstag. Soeben kommt der Bauer (Jakob Johannes Herlyn, 1829-1899) von einem Rundgang über die Felder nach Haus. Er ist zufrieden. Schnee und Frost des vergangenen Winters haben keinen Schaden angerichtet. Die Saat steht gut, und auch die Weiden zeigen schon einen grünen Schimmer. Der Bauer tritt in die große Küche, wo seine Frau (Grietje Ulferts Janssen 1834-1914) am Herd das Essen zubereitet und zugleich die Großmagd unterweist. Eine Ecke der Küche ist für die Kinder eingerichtet. Dort sitzt die kleine Entke (Entke Poppen Herlyn 1866-1903) und spielt mit ihrer Bela, einer aus Stoff selbst gemachten Puppe, während sich der 4jährige Johannes (Johannes Philipp Herlyn 1863-1932) eifrig mit einigen Holzklötzchen beschäftigt. Die beiden Großen sind noch in der Schule. Soeben hört man ganz in der Ferne das 12 Uhr Läuten von Upleward, dann ist die Schule aus, und die Kinder kommen nach Haus. Sie haben einen recht weiten Weg, denn die Domäne Grashaus liegt ca. 1 km von Upleward entfernt. Die Bäuerin tritt vor die Tür; jetzt kommen sie. Voran der 11jährige Ulfert (Ulfert Janssen Herlyn 1856-1900) mit seinen langen Beinen, dann die 9jährige etwas untersetzte Etje (Etje Heeren Jakobs Herlyn 1858-1925). Sie stürmen ins Haus, und bald sitzt die ganze Familie mit Mägden und Knechten am Mittagstisch.

Der nächste Tag ist Sonntag, Sonntag Judika. Bauer und Bäuerin machen sich frühzeitig auf den Weg zur Kirche. Der Weg ist lang und fällt der Bäuerin schwer, denn sie erwartet ihr 5. Kind. Ihren Haushalt kann sie der Großmagd überlassen, sie hat sie gut angelernt, vor allem im Hinblick auf die Zeit, wenn sie selbst das Bett hüten muss.

Die Kinder spielen einträchtig in ihrer Spielecke. Sie überlegen, ob es am Mittwoch, Entkes Geburtstag, wohl etwas Besonderes geben wird, vielleicht Schokolade. Wir würden heute sagen Kakao. Damals stellte man das Getränk aus geriebener Schokolade her, und es kam nur bei besonderen Gelegenheiten auf den Tisch.

Am Mittwoch kümmert sich keiner um das kleine Geburtstagskind. Es kommt sich ganz verloren vor, fragt bald die Großmagd, bald die Kleinmagd:" Wor is Mama?" und bekommt von allen eine ausweichende Antwort. Bis schließlich eine fremde Person - die Hebamme, die seit dem Morgen im Hause ist, den Kopf zur Küchentür hereinsteckt und sagt:" Bur, t' is 'n lüttje Jung upstahn, ick graleer ok!" Der Bauer freut sich, dass alles gut überstanden ist. Der 3. Sohn! Da wird der Name Herlyn nicht aussterben. Der kleine Sohn, geboren an Entkes 2. Geburtstag erhielt in der Taufe am 3. Mai 1868 den Namen Sunke Janssen, nach seinem Großvater mütterlicherseits Ulfert Sonneken Janssen.

1876, 8 Jahre später

Sohn Ulfert hat inzwischen Abitur gemacht und studiert in Leipzig Medizin. Die 18jährige Ettje ist ihrer Mutter eine unentbehrliche Hilfe in dem inzwischen größer gewordenen Haushalt, denn nach Sunke sind drei weitere Kinder, 1 Tochter und 2 Söhne geboren. Johannes besucht inzwischen das Gymnasium in Emden. Sunke geht mit seiner 2 Jahre älteren Schwester Entke und seiner 1 Jahr jüngeren Schwester Geeske zur Volksschule nach Upleward. Im Sommer gibt es auf dem langen Schulweg allerlei Abwechslung. Da werden Frösche gefangen, Vogelnester aufgespürt. Ein Hauptvergnügen ist es, in der trockenen Sommerzeit durch die unter dem Kleiweg liegenden Entwässerungsrohre zu kriechen. Auch das ältere Kindermädchen, das zur Aufsicht der kleinen Kinder und zu allerlei Handreichungen nachmittags nach Grashaus geht, will das versuchen. Sie kriecht in das Rohr und - bleibt darin stecken. Auf ihr Geschrei gucken die Kinder von beiden Seiten in das Rohr, wodurch es da unten noch dunkler und unheimlicher wird. Alles Drücken und Schubsen hilft nichts, sie sitzt fest, bis schließlich der beherzte Sunke das Mädchen bei den Beinen packt und sie rückwärts wieder ans Tageslicht befördert.

Der Schulweg im Winter ist dagegen eine schwere Belastung für die Kinder. Der Kleiweg ist oft unpassierbar und der daneben laufende schmale Fußweg nass und glitschig. Wenn dann gar kein Durchkommen mehr ist, holt Vater Herlyn seinen zahmen Braunen aus dem Stall. Die 3 Kinder werden darauf gesetzt, und der Gaul trabt nach Upleward. Dort wird beim Schuster halt gemacht. Das Pferd wird untergestellt und wartet, bis die junge Last aus der Schule kommt.

1884, weitere 8 Jahre später

Ulfert hat inzwischen seinen Dr. med. gemacht und sich in Emden als praktischer Arzt niedergelassen. Johannes studiert nach bestandenem Abitur Philosophie, und Sunke besucht in Emden das Gymnasium. Er wohnt " Zwischen beiden Märkten" bei einer Familie Winter und lernt hier während seiner Schulzeit seine spätere Frau Ewalde Kruse kennen. Sie ist die 4. Tochter des Navigationslehrers Carl-Ewald Kruse. Sie wohnt in der Steinstraße. Von dieser Zeit ist mir wenig bekannt, nur dass sich die beiden manchmal heimlich auf dem Wall getroffen haben.

Sonka-Eva Meyer, geb. Herlyn (1900-1994)