Die Kinder aus dem Mäusezirkus

 

Ein Bummel über den Rummel, der macht immer Spaß. Wir traten durch den Eingang auf den Platz, Carmen, Michael, Hilla und ich. Willst Du nicht schon mal einen kleinen Teddybären schießen, der paßt zu dir, fragte mich Carmen aus ironisch gespitztem Mund. Doch ich ging nicht darauf ein, sah nur Hilla an.

Der Sommernachmittag war sehr warm, und ohne den Fahrgeschäften rechte Aufmerksamkeit zu schenken zog es uns bald zu einem Biergarten, in dem die Durstigen dichtgedrängt saßen. Besser mit einem Plastikbecher in der Hand herumlaufen als den ganzen Tag mit klebriger Zunge, schlug ich vor. Sehr mal, was ist das denn?

Mein Blick fiel auf eine Bude, merkwürdig deplaziert wirkend zwischen all den anderen lauten und flackernden. Die rohen Bretter schienen ringsherum nur provisorisch festgenagelt zu sein, flüchtig bemalt mit Blumen, Zwergen und Tierchen aus der Phantasie. Aber über der Tür stand, und da hatte sich der Künstler mehr Mühe gegeben, in Schönschrift das Wort »Mäusezirkus«.

Kinder mit ihren Eltern drängten sich davor, aufgeregt und in Vorfreude, so hüpften sie. Offenbar war das der Kassenschlager in diesem Jahr. Hätte nicht gedacht, daß es solch einen Zirkus heute noch gibt, sagte ich zu den anderen. Er erinnerte mich an die Zeit nach dem Krieg, als die Schausteller ihre Buden notdürftig zusammenschusterten, um schnell wieder zu Geld zu kommen.

Michael meinte: Sag das nicht zu laut, sonst merkt man gleich, wie alt du bist, wenn du diese Zeit tatsächlich noch selbst erlebt haben solltest. Hilla sah mich an, als erwarte sie eine schlagfertige Antwort von mir.

Nein, entgegnetet ich, Mäuse finde ich einfach eklig, und dazu noch dressierte. Wie kann man nur mit so etwas sein Geld verdienen. Hat denn nich keiner den örtlichen Tierschutzverein alarmiert?

Wir schlenderten weiter über den Kirmesplatz an den bunten Karussells vorbei. Hilla sagte: Ich kann den Geruch von gebrannten Mandeln nicht ertragen, habe immer das Gefühl, Zahnschmerzen davon zu bekommen. Ich griff nach ihrer Hand, doch sie machte sich los, lief ein Stück vor mir her.

Wo willst du hin, rief ich. Sie lachte über ihre Schulter hinweg: Nur ein bischen frische Luft schnappen, am Rheinufer, Und sie eilte zwischen den Menschen hindurch weiter. Ich folgte ihr.

Dann sah ich sie an der unteren Böschung stehen, wie sie, die Hand schützend über ihre Augen gelegt, auf dem Fluß blickte. Seine vielen Stromschnellen glitzerten in der Abendsonne. Ich ließ mich ins Gras fallen.

Hilla, was ist mit dir, schnallte meine Stimme durch den Wind zu ihr hinüber. Wir kennen uns noch nicht lange, aber ich habe das gute Gefühl, daß wir uns mögen. Sag mir nur ein: Bin ich zu alt für dich?

Sie drehte sich herum und lächelte: Ach, Unsinn, nein, darum geht es nicht. Kam auf mich zu, setzte sich ebenfalls ins Gras. Nun, fragte ich.

Es fällt mir schwer, darüber zu reden, begann sie. Nach meiner Scheidung von Peter beschloß ich, keine feste Bindung mehr einzugehen. Offenbar, offenbar tauge ich nicht dazu. Und eine lockere Beziehung nach dem Motto “so hin und wieder je nach Bedarf” ist wohl kaum das Richtige für mich. Und ich denke, auch nicht für dich.

Ich erwiderte: Aber für uns entsteht im Augenblick doch eine völlig neue Situation, eine mit früheren unvergleichbare, in unser beider Leben. Hast du das noch nicht gemerkt? Laß uns nach vorne schauen, in die Zukunft.

Ich weiß nicht, seufzte sie.

Ich weiß nicht, ich weiß nicht, du sagst immer nur: ich weiß nicht, brauste es aus mir heraus. Wenn Gefühle offen zutage liegen, gibt es keine Unklarheiten, dann ist alles rein, wie immer am Anfang.

Laß mir Zeit, flüsterte sie, ich muß darüber nachdenken.

Wir schwiegen und sahen zur anderen Seite des Flusses hinüber, wo die Häuserreihen bereits im Schatten lagen. Es war nicht zu leugnen: Die Zeit hatte ihre Spuren hinterlassen, auf unseren Gesichtern und in unserem Innern.

Da ertönten wohlbekannte Stimmen hinter uns. Carmen und Michael kamen die Böschung hinabgelaufen, erheitert und außer Atem.

Michael rief: Da seid ihr ja wieder! Wir besuchten soeben den Mäusezirkus, unglaublich lustig. Mäuse sind überhaupt nicht eklig, wir haben uns köstlich amüsiert.

Aha, bemerkte ich, dann war das ja genau das Richtige für euch, für euch schnuckeligen Mäusekinder. Carmen lachte laut auf: Das mußt ausgerechnet du sagen, wo du doch das größte Kind von uns allen bist.

Hilla jedoch, Hilla sprang auf, faßte mich bei den Händen und zog mich zu sich hoch. Das braucht kein Fehler zu sein, sagte sie leise.

Hartmut (Edzard) Herlyn, Düsseldorf; *1943