Pizzabäcker

 

Luigi, die Pizza, her damit, ruft ein Herr, ich habe heute nicht so viel Zeit, und der Wein ist auch wieder zu warm. Einen Moment noch, sage ich und drehe mich von der Eistheke weg. Die Idee, durch das Fenster meiner Pizzeria auch Eis nach draußen zu verkaufen, erweist sich bislang als noch nicht so glänzend. Es schmilzt wegen der Wärme drinnen allzu schnell in den Behältern.

Sie kommen jeden Tag in ihrer Mittagspause hierhin, die Leute aus den umliegenden Büros, und die sind immer ungeduldig. Das bedeutet Streß für mich, fährt aber das nötige Geld ein, und ich lebe nicht schlecht davon.
Nur ein bißchen unkonzentriert bin ich heute allerdings. Liegt es daran, daß sich seit ein paar Tagen dies hübsche Mädchen unter den Mittagsgästen befindet, das nicht so nervös wie die anderen daherkommt und stets freundlich bleibt? Wir haben uns gleich prächtig verstanden, auch wenn meine Serviererei manchmal etwas nachlässig ausfiel. Sie lächelte nur, zündete sich eine Zigarette an. Das macht nichts, für ein gutes Essen sollte man sich Zeit nehmen, sagte sie, es weckt die Lebensgeister. Also dann, bis zum nächsten Mal, und ciao!

Luigi, um Himmels Willen, paß auf deine Pizzen auf, schreckt mich die Stimme des Herrn wieder hoch. Ich laufe zum Steinofen und sehe, daß bereits Rauch aus seiner Öffnung quillt. Zu spät, um das Gebackene unversehrt aus dem Feuer zu holen, alles zu spät. Voller Panik greife ich nach einem Handtuch, wedele damit durch die Luft, doch das nützt nicht viel. Der kohlige Qualm breitet sich schnell im Raum aus.

Du hast deinen Meisterbrief wohl auf dem Kirmesstand geschossen, ruft eine Frau spöttisch. Auch die anderen Gäste beginnen zu husten, rücken ihre Stühle und verlassen das Lokal: Unmöglich ist das, da kriegt man ja Asthma von, puh!
Ich halte mich zurück, ihnen wütend etwas hinterher zu werfen, diesem undankbaren Volk, muß erst einmal Schadensbegrenzung betreiben. Was ist zunächst zu tun? Die Steine von dem verschwärzten Zeug befreien. Wo habe ich nur das Kratzmesser hingelegt?

Hinter mir höre ich eine vertraute Stimme: Ach, das wird schon wieder, laß man. Sie kommt von der jungen hübschen Frau, die ich ganz übersehen hatte im Tohuwabohu der letzten Minuten. Sie war als einziger Gast geblieben, eine, wie ich finde, noble Haltung von ihr. So etwas kann passieren, sagt sie, na und? Ich habe mich inzwischen wieder gefangen und setzte eine frohe Miene auf: Erst mal alles sauber machen, dann schauen wir weiter.

Mit einem Ausdruck im Gesicht, als wolle sie sich selbst die Schuld an dem Unglück geben, fragt sie: Darf ich dir zu Trost etwas vorschlagen? Hast du Lust, heute abend ins Weinlokal “Zur Goldenen Traube” zu kommen, da mitten in der Altstadt? Mein Bruder kellnert dort, verdient sich etwas, sein Studium zu finanzieren. Ich helfe ihm manchmal dabei. Hört sich nicht schlecht an, erwidere ich, geht in Ordnung, komme gern, sehr gern. Beim Hinausgehen gibt sie mir die Hand und lacht fröhlich: Ich heiße Gabriele, und du bist Luigi, wie man weiß.

Ja, sie sieht ohne Frage sehr gut aus, denke ich ihr hinterherblickend. Das Geschäft ist heute eh gelaufen, du kannst für den Rest des Tages das Schild “Geschlossen” raushängen.

Über die unverhoffte Einladung Gabrieles war ich hocherfreut und immer wieder schaute ich auf das Zifferblatt meiner Armbanduhr, wann es denn endlich Abend würde. Die Schuhe blankgeputzt, den Anzug bereitgelegt, das Kinn noch einmal rasiert, denn Frauen mögen keine stacheligen Männer. Schließlich wählte ich eine roten Schlips dazu, einen italienischen natürlich.

Die “Goldene Traube” kam mir von außen bekannt vor, aber irritiert blickte ich nun in ihr Dämmerlicht hinein. Meine Augen suchten vergeblich die Räumlichkeit nach Gabriele ab. Vielleicht sollte man noch etwas warten. Und unschlüssig stellte ich mich wieder an den Eingang. Da trat ein junger Mann mit einer Serviette über dem Arm auf mich zu, er sagte: Sie sehen genauso wie der Maestro aus, von dem meine Schwester schwärmt, und von seinem Schmaus. Mein Name ist Heinz. Darf ich kurz etwas mit Ihnen besprechen?

Er bugsierte mich an einen Tisch in einer Ecke des Restaurants, auf dem bereits eine Flasche Wein stand. Was gibt´s, fragte ich, schon leicht ungeduldig geworden. Wo ist sie denn überhaupt, Ihre Schwester? Er lachte: Gabi wird Sie gleich begrüßen. Sie muß heute die Teller in der Küche spülen, und das dauert immer eine ganze Weile. Bis dahin genehmigen wir uns einen Schluck von diesem Rotwein hier, einem französischen. Mal was anders für Sie.

Wirklich, der Franzose war nicht unübel. Wissen Sie, fuhr Heinz fort, ich möchte Ihnen etwas Besonderes zeigen, hier, sehen Sie. Er holte ein Armband aus seiner Mappe und breitete es vor meinen Augen aus. Ich staunte: Das ist aber schön, wunderschön mit den vielen Aquamarinen darauf. Es sind Blautopase, bemerkte Heinz, eingelegt in die Glieder aus purem Gold. Ich habe alles auf seine Echtheit hin überprüfen lassen. Die Steine scheinen von einem Stern herabgefallen zu sein, staunte ich weiter. Er lächelte: Bleiben wir nüchtern und mit den Beinen fest auf dem Boden.

Was ich Sie fragen wollte, ist dies: Kennen Sie jemanden, der Interesse daran hätte und zu einem Kauf bereit wäre, jemanden aus Ihrer Verwandtschaft oder Landsleute von Ihnen? Sie haben doch sicherlich mancherlei Beziehungen in diese Richtung. Der für Sie dabei herausspringende finanzielle Anteil wird nicht gering sein, darüber kann man reden.

Ich sah ihn ungläubig an. Woher haben Sie das Schmuckstück, fragte ich, aus welchem Schrank, aus welcher Truhe? Das tut im Augenblick nicht zur Sache, erklärte Heinz. Ich hielt das Ganze noch immer für einen schlechten Scherz und meinte: Aha, da ist es wieder, das Klischee, alle Italiener seien verkappte Maffiosi. Habe gar nicht behauptet, Sie wären ein Maffosi, erwiderte er. In der Einzahl heißt es “Maffioso”, verbesserte ich ihn.

Er lehnte sich mit verschränkten Armen zurück: Ihre Bude voller Tortellini, die bringt doch nichts. Und die mit Plakaten von der Adria zugekleisterten Wände wirken eher rührend. Nein, mein Lieber, dort werden Sie Ihres Lebens auf die Dauer nicht froh. Lassen Sie das bitte, entgegnete ich, für solcherlei krumme Geschäfte tauge ich nicht. Der Hehler ist so gut wie der Stehler. Aber sagen Sie, wo bleibt Gabriele nur?

Mittlerweile war ich ziemlich unruhig geworden, blickte fortwährend zur Küchentür und über die Tische hin. Die Erwartete würde sicher nicht erbaut sein von unserem Gespräch. Da wurden Heinzens Augen schmal und sein Gesicht verfinsterte sich: Pah, das Abenteuer ist gelaufen. Gabi wird hier nicht erscheinen, dafür werde ich sorgen. Und das haben Sie ganz alleine sich selbst zuzuschreiben, Ihrer Starrköpfigkeit.

Ich fuhr von meinen Stuhl empor, wollte ihn bei den Schultern packen, stieß dabei an die Flasche Wein. Sie fiel um und ihr dunkler Inhalt ergoß sich über das Tischtuch. Erpressung, rief ich, das ist ja glatte Erpressung! Heinz blieb augenscheinlich gelassen, wie er sagte: Ich gebe Ihnen noch eine Chance. Überlegen Sie sich alles in Ruhe, und dann unterhalten wir uns morgen abend wieder darüber. In Ordnung?

Die Gäste an den anderen Tischen schauten jetzt alle zu uns her mit belustigtem, teils gespanntem Ausdruck auf ihren Gesichtern. Der Wirt hatte seine Arme auf den Schanktisch gestemmt. Stille ringsum, und mir schien, daß nur das Keuchen aus meiner Brust zu hören war. Nein, schrie ich, es geht nicht, ich bin kein Dieb, so etwas tut... Aus dem Hintergrund unterbrach mich laut auflachend die Stimme einer Dame: Huch, wie köstlich, geradezu filmreif!

Dann griff ich nach meiner Jacke und rannte aus dem Lokal, floh nach Hause und fühlte nichts mehr.

Der nächste Tag erscheint so, als wäre nichts geschehen zuvor. Das Leben verläuft wie sonst auch. Und ich denke gar nicht mehr an den gestrigen. Vielleicht habe ich die wirren Ereignisse nur geträumt, um die nüchterne Wirklichkeit besser schätzen zu lernen. Pappa sagt oft: Gut, wenn man die Gabe besitzt, unangenehme Dinge im Leben schnell wieder zu vergessen. Er hat leicht reden. Vor einem Jahr trennte er sich von Mamma und wohnt seitdem bei einer anderen Frau. Doch ich fürchte, er macht sich etwas vor.

Gegen Mittag kommen auch die ersten Hungrigen wieder, angelockt von den Düften aus meiner Pizzeria. Sie nehmen mir offenbar nichts übel, wirken heiter, bestellen die üblichen Gerichte. Und da ist sie ja ebenfalls, die Kleine draußen vor dem Fenster.

Bitte noch ein Wumba-Tumba-Schokoladeneis, singt sie. Weißt Du, Luigi, dein Eis schmeckt echt lecker, aber es kommt mir zu weich vor, ist schnell am Ende. Ich lächele mit aufgesetzter Maske: Eben das Besondere daran - mein Geschäftsgeheimnis.
Also dann, ciao und bis zum nächstem Mal, sagt sie und geht mit der Waffel die Straße hinunter. Ich schaue ihr nach. Nein, so gut wie Gabriele sieht sie nicht aus, das kann man bei aller Sympathie kaum behaupten. Aber irgendwie ganz nett ist sie doch, hat eine gewisse Ausstrahlung. Genau, da bringt´s - Ausstrahlung. Drehte sie sich nicht noch einmal zu mir herum?

Um Himmels Willen, Signore, passen Sie auf Ihre Pizzen auf, schreit eine Herr am Tisch. Luigi, rufen alle, wach endlich auf! Luigiii!

Hartmut (Edzard) Herlyn, Düsseldorf; *1943