Tante Gillis Laden

 

Der Laden meiner Tante,
den jedes Kind hier kannte
in unsrer Stadt so wunderlich,
er niemals einem anderen glich.

Denn seltne Dinge warten dort,
die gleich behütet einem Hort
da überall sich drängen,
an Schnüren niederhängen.

Zum Beispiel diese Puppe,
in den Händen eine Hupe,
die laut ertönt ganz ungeniert,
wenn man die Fäden richtig führt.

Ja, oder jene kleine Fee,
wie lustig tanzt sie ihren Dreh
auf einer Spieluhrdose
mit roter Plastikrose.

Und schließlich muntre Affen,
die scheinen nie zu schlafen
bei Rasselklang und viel Gedröhn,
sie finden jedenfalls es schön.

Natürlich auch so manches Kind,
das einmal nicht ganz fernsehblind
an langen Nachmittagen
sich hierhin durfte wagen.

Welch eine Ohrenweide!
Sie hatten immer Freude,
denn Tante mochte Kinder sehr,
ihr eignes lebte längst nicht mehr.

Ich aber war ihr Patensohn
und durfte den Geburtstagslohn
mir jedes Jahr dort suchen,
nebst einem Mamorkuchen.

Ganz köstlich diese Feier,
nur oftmals nicht geheuer,
weil allzu laut der schrille Klang
nach draußen auf die Straße drang.

Dann klopfte da mit finstrem Blick
der Schutzmann seinen Knüppel dick
an unser Ladenfenster,
als sähe er Gespenster.

Wir ließen ihn nur maulen,
er konnte kaum vergraulen
uns alle, denn wir lachten bloß,
wenn Tante schnell den Laden verschloß.

- - -

Doch wehe, eines Tags beschlich
ein böses Ahnen fürchterlich
die Kinder und Passanten,
die dort vorüberrannten.

Sie sahen einen Meister
mit Eimern voller Kleister
und bunten Farben noch dazu
das Haus bepinseln ohne Ruh.

Ein andrer auf der Leiter stand,
den Hammer schon in seiner Hand,
der unter lautem Pochen
das Türschild abgebrochen.

Den Sinnen kaum ich traute,
auch Tante Gilli schaute
nur ganz verstört im Raum umher,
als ob das alles Täuschung wär.

Sie sah mich stumpfen Blickes an:
Der Hauswirt machte diesen Plan,
weil eine Imbißkette
er lieber drinnen hätte.

Sie brächte mehr an Kunden,
wie man herausgefunden,
für einen bessren Umsatz hier
als mein Geschäft mit Stoffgetier.

Und seufzend klang ein Klageton -
es stürzte eine Puppe schon
herab, die Schnur gerissen,
im Dauertanz verschlissen.

Wie Tante Gilli zuckte!
Ich wandte mich und guckte
durchs Ladenfenster aufmerksam
hinüber dort zum Straßendamm.

Da seltsam sah ich stehen bloß
mit einer Brille dunkelgroß,
wie jemand uns beäugte,
der keine Regung zeigte:

Ein Herr, dem augenscheinlich
das Ganze ziemlich peinlich,
er harrte nur verschlossen stumm,
dann drehte er sich einfach um.

- - -

Und bald erscholl vor unserm Haus
ein ziemlich lautes Stimmgebraus
von einer Menschenmenge,
wie wenn es drohend klänge.

Das dürfen sie nicht machen,
so alle Leute sprachen,
nein, wirklich eine Gaunerei,
wir rufen jetzt die Polizei!

Sie winkten schon den Schutzmann her,
der aber blickte völlig leer,
verwirrt und schien versponnen
zur Gipsfigur geronnen.

Der kleinen Mara endlich
war alles unverständlich,
sie haute nur in großer Wut
ihr porzellanes Schwein kaputt -

und zählte laut die Euros bar,
gespart das liebe lange Jahr,
voll Eifer in den Händen,
dem Laden Geld zu spenden.

- - -

Die Tante schluchzte leise -
da bahnte eine Schneise
sich dieser dunkle Herr gekonnt
bis hin zu unsrer Scheibenfront.

Er tippte dran und grinste schief,
wie wenn ein Zweifel ihn durchlief
mit leichtem Unbehagen,
dann hörte man ihn sagen:

Das Ganze muß ein Irrtum sein,
die Räume scheinen viel zu klein
für alle Imbißverkäufer
und Mixgetränkesäufer.

Ich brauche helle, große,
denn Eis mit Himbeersoße,
das Mundet besser frisch gespritzt,
wenn man dabei an Tischen sitzt.

Dann beugte sich der fremde Mann,
sah Tante Gilli zwinkernd an,
zieht seine Lippen breiter,
eilt schnellen Schrittes weiter.

Wir sahen fort ihn gehen
und konnten kaum verstehen,
ob diese Renovierungskur
ein dummer Irrtum schließlich nur.

Das haben wir nie rausgekriegt -
doch wirklich, manchesmal obsiegt
das Herz mit stillem Mahnen,
weil unsren Lebensbahnen
ein Sinn geheim zugrunde liegt.

Hartmut (Edzard) Herlyn, Düsseldorf; *1943