Die Palme mit den rollenden Augen

 

Entnervt ließ ich mich auf eine Bank vor dem Haus fallen. Ist das Gedicht wirklich so schlecht, fragte ich mich. Heftig, diese Anschuldigungen.

Der Hausherr hatte sich mir entgegengestellt, als ich ein weiteres Glas Sekt holen wollte. Sagen Sie, begann er, habe gerade so mit halbem Ohr mitgekriegt, was Sie da den anderen als Gedicht rezitierten, offenbar eins von Ihnen selbst. Klingt ziemlich bescheuert, finde ich, an den Haaren herbeigezogen. Sie müssen ja sehr von sich überzeugt sein, Ihren Mitmenschen das zuzumuten.

Wie bitte, fragte ich erschrocken zurück und überlegte, was ich zu meiner Verteidigung vorbringen sollte: Den Damen gefiel mein Werk aber, sie meinten –

Blödsinn, unterbrach mich der Hausherr barsch, im übrigen muß man Ihr Äußeres tadeln, Sie wirken ungepflegt. Meine Gäste haben sich alle auf den heutigen Abend vorbereitet, sich schick dafür gemacht. Sie tragen noch nicht einmal ein frisches Hemd. Was sagt Uschi dazu?

Entschuldigung, ich bin nicht mehr dazu gekommen mich umzuziehen, eilte direkt von der Arbeit hierher, entgegnete ich.

Seine Stimme nahm jetzt einen lauteren Klang an: Dann hätten Sie wenigstens Ihren Kulturbeutel mitbringen können. Und er zeigte mit der Hand zur Tür: Dort hinaus!

Mittlerweile waren die anderen Eingeladenen aufmerksam geworden, schauten zu uns herüber, und Uschi stand von ihrem Stuhl auf. Hinaus mit Ihnen, wiederholte der Herr in drohendem Ton, sonst –

Da drehte ich mich auf dem Absatz herum, griff nach meiner Jacke in der Garderobe, lief nach draußen. Oh Mann, so eine Blamage!

Uschi stürzte hinter mir her. Was ist denn passiert, rief sie mit aufgerissenen Augen. Geh bitte wieder rein, Uschi, sagte ich, ich erkläre es dir später. Du musst nicht auch noch da reingezogen werden, das wird dir nur schaden. Bitte, geh wieder zurück.

Sie stand unschlüssig auf der Treppe. Gut, erwiderte sie, ich ruf dich morgen an oder heute nacht noch. Dann entschwand sie.

Nein, das Gedicht ist nicht schlecht, dachte ich auf der Bank sitzend. Der Gastgeber hat es wahrscheinlich falsch verstanden oder sich nur geärgert, weil ihm die Schau gestohlen wurde. Und ich murmelte es noch einmal vor mich hin:

„Wenn es Schuhe gäbe, die mich überallhin trügen, wohin ich wollte, ich würde mir sofort welche kaufen. Kein Preis wäre mir zu hoch.

Wenn es ein Lied gäbe, das in meinem Herzen haften bliebe, würde ich Tag und Nacht nichts anderes tun als singen.

Da es aber solche Schuhe nicht gibt, muß ich immer im Kreis laufen.

Auch um das Lied ist es falsch bestellt – ich werde eines Tages verstummen.“

Sich darüber ärgern? Ach, was soll´s. Ich richtete mich auf und bemerkte, wie jemand an meinen Beinen schnupperte – ein Hund. Ein Hund, der mich aus bernsteingelben Augen anblickte. Tröstlich, lächelte ich, da sieht man es wieder, Tiere sind doch die besseren Menschen.

Der Hund entfernte sich ein Stück von mir und blieb dann stehen, so als ob er mich auffordern wollte, ihm zu folgen. Er setzte sich in Bewegung, lief dann schneller weiter, offenbar in Richtung Flussufer, und ich musste rennen, um mit ihm Schritt zu halten.

Das Flussufer erscheint als eine Gegend, die ich meide, denn seine Stadtseite ist durch die Jahre völlig zugepflastert mit modernistischen Zweckbauten, finanziert von sogenannten Privatinvestoren, hässlich. Dazwischen liegen ein paar Restaurants und Bierlokale.

Der Hund kam jetzt vor einem Lokal zum Stehen, dessen Licht auf das Trottoir fiel, tapste hinein. Drinnen sah ich eine Frau Tische abwischen und Stühle hochstellen. Wir haben bereits geschlossen, sagte sie mich erblickend, der Tag war lang genug.

Zögernd verharrte ich in der Tür. Sie wies auf einen Stuhl: Kommen Sie, ich gebe Ihnen noch ein Glas Wasser, Sie sehen ja furchtbar blaß aus. Dann ist aber wirklich Schluß für heute.

Sie stellte ein Glas vor mich hin und machte sich weiter in dem Raum zu schaffen. Wie alt mochte sie sein? Jedenfalls strahlte ihre Gestalt zu dieser späten Stunde noch eine gewisse Frische aus.

Danke, sagte ich. Mein Blick heftete sich an einen großen, grünen Zweig, vor einem der Fenster hängend. Als ob die Frau meinen Augen gefolgt wäre, bemerkte sie: Schön, nicht? Das ist ein Palmzweig aus dem Heiligen Land, aus Palästina. Ein Geschäftsmann brachte ihn mir neulich mit, besucht mich hier ab und zu, kommt deswegen extra vom Flughafen herüber. Es ist mehr als eine nette Geste.

Ich fragte aus Höflichkeit: Ja? Sie zuckte mit den Schultern: Nicht ja, eher nein. Wissen Sie, ich bin nicht geschaffen für solcherlei Geschichten. Meine Scheidung vor zwei Jahren steckt mir immer noch in den Knochen, offenbar ungeeignet für ernsthafte Beziehungen. Das muß man akzeptieren.

Wird er wiederkommen, fragte ich, ich meine, der Geschäftsmann? Sie antwortete nicht darauf, hatte schon den Palmzweig vom Fenster genommen und ließ seine langen Blätter durch ihre Finger gleiten: Ich denke, Ihnen ist bekannt, welche Bedeutung er hat, damals wie heute. Damals streuten die Leute frische Palmblätter vor den Heiland hin bei seinem Einzug in Jerusalem, ihn froh zu begrüßen, und heute –

Ich fiel ihr ins Wort: Der Heiland? Aber das ist doch alles schon so lange her, wer glaubt denn heute noch daran, an so etwas.

Kaum hatte ich das von mir gegeben, sprang der Hund unter dem Tisch hervor und fing laut zu knurren an. Seine Zähne fletschten zu mir hoch, die Augen rollten im Kopf herum wie kleine Feuerbälle. Pancho, hör auf damit, zischte die Frau, laß den Herrn in Ruhe! Komm, leg dich wieder hin!

Aber der Hund lief an uns vorbei und nach draußen, mit erhobenem Kopf, was uns amüsierte. Die Frau lächelte: Hier, nehmen Sie den Zweig, vielleicht wird er Ihnen Glück bringen. Für mich hat er seinen Dienst getan.

Das kann ich nicht annehmen, sagte ich. Sie schob mich zur Tür, flüsterte: Lassen wir es gut sein. Und da draußen schien Pancho schon auf mich zu warten in der Haltung, wie er zu mir hersah.

 Hartmut (Edzard) Herlyn, Düsseldorf; *1943

Er blickte mir sicher auch noch nach, als ich die Straße hinunterging, um aufzupassen, ob ich den richtigen Weg einschlug. Meine Hände streiften durch die Rispen der Palme: Wie sinnenfroh das war. Die Siebenmeilenschuhe, die konnten von mir aus dorthin laufen, wo der Pfeffer wächst.